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Eberhard Freitag und Lucas Döbel von der Return-Fachstelle Mediensucht.Foto: Moritz Frankenberg

Zocken für die Risikogruppe

Für viele Kinder wird vermeintlich ein Traum wahr: keine Schule und viel Zeit zum Zocken. Jede Familie ist in diesen Tagen mit einer besonderen Situation konfrontiert. Die Schule fällt weg und damit der wichtigste Teil der Tagesstruktur von Kindern und Jugendlichen. Auch die Treffen mit den Freunden, das Fußballtraining oder das Fitnessstudio fallen einfach aus.

Umgang mit Medienkonsum

„Eltern sind daher derzeit in ganz besonderer Anspannung“, sagt Eberhard Freitag von der Fachstelle Mediensucht der Region Hannover, Return – Mitglied im Netzwerk Familienberatung der Region. Das Team möchte Familien unterstützen in der schweren Zeit, in der analoge Möglichkeiten der Freizeitbeschäftigung stark geschrumpft sind. „Um den häuslichen Frieden in der Ausnahmesituation nicht zu gefährden, plädieren wir dafür, dass Eltern etwas gnädiger mit dem Medienkonsum ihrer Kinder umgehen“, so Freitag. Alles andere wäre unangemessen.

Dank Onlinegaming können die Wettkämpfe, die spannenden Abenteuer, die gemeinsame Zeit mit Freunden vom Kinderzimmer aus erlebt werden. Bei den aktuell extremen Einschränkungen des analogen Lebens bieten die Games eine enorme Palette an Kicks und spannenden Erlebnissen, sagt Return-Kollege Lucas Döbel. „In diesen Zeiten ein Spielverbot auszusprechen, ist sicherlich keine hilfreiche Sache. Zu verkünden, dass ohne Ende gezockt werden darf, damit der Tag irgendwie überstanden wird, allerdings auch nicht.“

Für den goldenen Mittelweg haben die Experten ein paar Tipps zusammengestellt:

1. Kindern und Jugendlichen fehlen im Moment wichtige Strukturpunkte. Da zieht der Impuls nach Spaß, nach Aktivität, nach Kick noch stärker als sonst. Dass jetzt mehr gezockt wird und mehr gespielt werden „will“, ist verständlich und nicht per se als negativ zu betrachten.

2.  Computerspiele bieten die Möglichkeit, Selbstwirksamkeit zu fühlen, ein Held zu sein, Gemeinschaft zu haben und auch Struktur zu erleben. Jede Runde Fortnite ist ein starkes Erlebnis mit den Freunden trotz Isolation. „Wir erleben gerade die Vorteile der Digitalisierung, die vielfältigen Möglichkeiten von Kontaktaufnahme und Verbundenheit trotz häuslicher Isolation“, betont Freitag.

  3. Respekt vor jeder Familie, die sich dem Thema stellt. Wichtig: locker bleiben. Gelassenheit hilft, dass die Stimmung nicht kippt. Die Regeln sollten der Situation angepasst werden. Alle Grundsätze aufzugeben ist allerdings auch nicht hilfreich. Wichtig ist, dass vereinbarte Regeln klar formuliert, für die Kinder verlässlich sind und nicht täglich geändert werden. Sie dürfen in diesen Zeiten großzügiger ausfallen, auch, um nicht permanent im Konflikt mit den Jugendlichen zu sein.

  4. Beziehungsprobleme in der Familie sind oft eine Ursache für exzessives Computerspielen. So kann es sein, dass sich ein Kind in der Isolation jetzt noch mehr vor dem Bildschirm zurückzieht. Das sollte nicht passieren. In der Krise sollte niemand alleine sein. Es ist wichtig, die Beziehung und den Kontakt nicht abbrechen zu lassen.

  5. In diesen Tagen bekommt das Wort Isolation ja eine positive Bedeutung. Wer zu Hause bleibt, der schützt sich und andere. Also einerseits Zocken für die Risikogruppen, andererseits gibt es gerade in der Krise die Chance, nicht nur im Spiel, sondern auch in der analogen Welt zum Helden für andere durch praktische Hilfe zu werden. Einkaufen gehen, ein Zimmer renovieren, den Dachboden aufräumen. Alles analoge Fragen und Herausforderungen, für die jetzt Zeit ist.

  6. Eltern haben nun endlich auch einmal Zeit, mitzuspielen, sich Spiele erklären zu lassen. Diese Zeit ist eine Chance, sich intensiver mit der Faszination der Computerspiele auseinanderzusetzen, um die eigenen Kinder ein Stück besser zu verstehen. Und danach könnte man sich ja auch mal wieder für ein Karten- oder Brettspiel am Abend gemeinsam am Tisch versammeln.

  7. Strukturpunkte sollten so weit es geht aufrechterhalten bleiben. Erst die Pflichten, dann das Zocken. Möglichst vermeiden, dass schon der ganze Vormittag vor der Playstation verbracht wird. Auch eine Begrenzung am Abend ist notwendig, damit der Tag-Nacht-Rhythmus und damit eine einigermaßen klare Tagesstruktur nicht verloren geht. „Wichtig ist ja auch, dass sich nicht allzu lässige Muster einspielen, die später nur schwer wieder rückgängig zu machen sind“, sagt Freitag. Alles sollte daher nicht möglich und erlaubt sein.

  8. Wichtig ist es, im persönlichen Gespräch zu bleiben. Welche Gedanken haben die Kinder zu der gesamten Situation, welche Sorgen und Ängste bewegen sie und die Eltern? Was ist wirklich bedeutsam im Leben? „Diese Krise ist eine Art Reality-Check für uns alle. Der gemeinsame ehrliche Austausch wird unsere Beziehung zu unseren Kindern stärken. Das werden wir wahrscheinlich erst rückblickend auf diese Zeit feststellen“, meint Döbel.

Ein erhöhtes Anruferaufkommen hat die Fachstelle Mediensucht in den vergangenen Wochen nicht verzeichnet. „Aber es rufen Menschen mit anderen Anliegen an“, so Freitag. Viele Eltern schilderten ein für sie eher neues Problem mit dem Medienkonsum der Kinder.

Return Fachstelle Mediensucht, www.return-mediensucht.de sowie www.hannover.de/netzwerkfamilienberatung

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